ERP-Systeme in E-Commerce-Betrieben: Interview mit der dc AG

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  • Wie kann ein effektives ERP-System den E-Commerce-Betrieb eines Unternehmens unterstützen und welche Vorteile ergeben sich daraus?

„ERP steht für Enterprise Resource Planning. Es steuert alle Prozesse in einem Unternehmen, auch die, die für den Betrieb eines Online-Shops typisch sind. Dazu gehören die Lager, Logistik, Einkauf, Verkauf und Finanzbuchhaltung. Die Anforderungen an ein ERP-System variieren dabei je nach Größe und Komplexität des Unternehmens. Wenn jemand einen kleinen Webshop betreibt und die Logistik an einen Partner ausgelagert hat, kann eine einfache Webshop-Software ausreichen. Sobald die Aktivitäten jedoch professioneller werden, ist ein ERP-System nahezu unverzichtbar.

Zu den wichtigen Funktionen eines ERP-Systems gehören insbesondere die Abwicklung der Finanz -und Logistikprozesse. Dies ermöglicht eine effiziente und schlanke Abwicklung der Prozesse bis hin zu einer weitgehenden Automatisierung. Zudem erleichtert es die professionelle Auswertung der Geschäftsvorfällen. Im Gegensatz zu einer einfachen Webshop-Lösung bietet ein ERP-System umfangreiche Funktionalitäten, die beispielsweise die Verwaltung eines chaotischen Lagers über mehrere Standorte und die Generierung von Bestellvorschlägen ermöglichen.

Solche Funktionen sind für ein erfolgreiches E-Commerce-Unternehmen von entscheidender Bedeutung, sobald eine gewisse Anzahl an Bestellungen erreicht ist. Daher ist es ratsam, sich mit dem Thema ERP auseinanderzusetzen, wenn man seinen Webshop auf professionellem Niveau betreiben möchte. Es bietet die notwendigen Werkzeuge und Funktionen und einen reibungslosen Geschäftsbetrieb zu gewährleisten und die entscheidenden Businessdaten auszuwerten.“

  • Welche entscheidenden Faktoren sollten bei der Auswahl eines ERP-Systems für den E-Commerce berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass es den individuellen Anforderungen gerecht wird?

„Finanzbuchhaltung, Einkauf und Lagerlogistik sind wichtige Bereiche, die in einem Unternehmen benötigt werden. Es ist wichtig, sich diese Bereiche genauer anzusehen, um herauszufinden, welche ERP- Lösungen für das eigene Unternehmen geeignet sind. Je nach Unternehmensgröße gibt es verschiedene Softwareoptionen, die in Betracht gezogen werden können. Für kleine Händler:innen ist z.B. JTL eine passende Lösung, da es ihren Bedürfnissen gerecht wird und preislich attraktiv ist.

Für große Unternehmen hingegen ist SAP in vielen Fällen gut geeignet, da es ihre großen Transaktionsvolumina effizient abwickeln kann. Natürlich können für ein ERP-Projekt mit SAP schnell 7-stellige Investitionen nötig werden. Eine weit verbreitete Lösung für mittelständische Unternehmen ist Microsoft Dynamics 365 Business Central.

Bei der Auswahl einer geeigneten Lösung sollte man auf folgende Punkte achten:

  • Branchenoffenheit und Anpassbarkeit an unterschiedliche Branchenanforderungen.
  • Vorhandensein von APIs (Schnittstellen) und vorgefertigten Verbindungen zu anderen Systemen, um wichtige Funktionen nahtlos zu integrieren.

Darüber hinaus ist es heute für die meisten Unternehmen ratsam, eine Lösung als Software as a Service (SaaS) in der Cloud zu betreiben. Dadurch ist immer die aktuellste Version verfügbar und es besteht nicht mehr die Gefahr, Updates zu verpassen oder in einem „Update-Loch“ stecken zu bleiben, wie es früher bei der Installation eines ERP-Systems auf dem eigenen Server der Fall sein konnte.“

  • Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihr ERP-System nahtlos mit anderen wichtigen Tools und Plattformen wie CRM-Systemen oder Online-Marktplätzen integriert werden kann?

„APIs spielen eine wichtige Rolle bei der Auswahl einer Cloud-Lösung. Es ist wichtig, dass die Software über leicht zugängliche APIs verfügt, um eine nahtlose Integration mit anderen Systemen zu ermöglichen. Dies ist insbesondere für den reibungslosen Austausch von Artikeldaten und die Übergabe von Aufträgen an das ERP-System relevant. Idealerweise werden auch Daten wie Gutscheine, Kundendaten und anderen Informationen zwischen den Systemen ausgetauscht.

Eine ideale Lösung bieten bereits vorgefertigte Schnittstellen, die einen reibungslosen Datenaustausch zwischen ERP-System und Webshop gewährleisten. Microsoft ermöglicht beispielsweise die nahtlose Integration von Shopify mit dem ERP-System Microsoft Dynamics 365 Business Central. Dies erleichtert die Geschäftsprozesse und steigert die Effizienz, da die Systeme ohne Konfiguration oder Entwicklung von Schnittstellen verbunden werden können.“

  • Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen typischerweise bei der Implementierung eines ERP-Systems im E-Commerce und wie können diese bewältigt werden?

„Meiner Erfahrung nach gibt es eine klare Trennung zwischen den Welten des E-Commerce und ERP-. Oft sind sie voneinander isoliert und es gibt Schwierigkeiten bei der Kommunikation zwischen den Abteilungen Marketing und IT innerhalb eines Unternehmens. Die Herausforderung besteht darin, diese beiden Welten zu verbinden und eine nahtlose Integration zu erreichen.

Um dies perfekt umzusetzen, ist eine enge Zusammenarbeit und ein Verständnis der nachgelagerten Prozesse erforderlich. Im Idealfall sollte eine Person beide Welten kennen und miteinander verbinden können. Leider ist dies oft nicht der Fall, da verschiedene Unternehmen und Abteilungen involviert sind.

Genau aus diesem Grund haben wir uns dieser Problematik angenommen und es uns zur Aufgabe gemacht, die Welten der ERP-Systeme und des E-Commerce zusammenzuführen. Wir haben erkannt, dass dies eine große Herausforderung ist, und haben uns darauf spezialisiert, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um eine effektive Integration zu ermöglichen.“

  • Inwieweit können moderne Technologien wie künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen in einem ERP-System für den E-Commerce eingesetzt werden und welchen Mehrwert bieten sie?

„Bei der Implementierung von KI-Tools an verschiedenen Stellen arbeitet Microsoft bereits eng mit OpenAI zusammen. Einige Funktionen sind bereits verfügbar und bieten einen konkreten Nutzen. Ein Beispiel ist die Lagerbestandsplanung und -prognose. Mithilfe von KI (Künstliche Intelligenz) können potenzielle Bedarfe identifiziert und analysiert werden, um festzustellen, ob und wann der Lagerbestand erhöht werden muss. Dieser Prozess wird durch automatisierte KI-Funktionen unterstützt.

Darüber hinaus ermöglicht die sog. Copilot Funktionen von Microsoft die automatische Anlage von Artikel auf Basis von Artikelbildern oder die Anreicherung von Artikel mit Texten und anderen Informationen. Dies trägt dazu bei, den Arbeitsaufwand zu reduzieren und den Prozess effizienter zu gestalten. Hier werden in den nächsten Monaten und Jahren ständig neue Funktionen Einzug halten.“

  • Welche Trends und Entwicklungen zeichnen sich derzeit im Bereich der ERP-Systeme für den E-Commerce ab und wie sollten Unternehmen darauf reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

„Aus meiner Sicht bietet Software as a Service in der Cloud die Möglichkeit, kontinuierlich Upgrades durchzuführen und dabei trotzdem individuellen Prozesse abzubilden. Mittlerweile gibt es Möglichkeiten, sogar komplett individuelle Funktionen in die ERP-Lösung zu integrieren, ohne die Update-Fähigkeit zu gefährden. Die großen Anbieter haben dies erkannt und bieten entsprechende Lösungen an. Nur so ist es möglich von den erst am Anfang stehenden KI-Funktionen zu profitieren die Microsoft, SAP & Co. für die nächsten Versionen ihrer ERP-Systeme angekündigt haben.


Über den Autor

Tobias Langmeyer ist Vorstandsvorsitzender und Co-Gründer der Digitalagentur dc AG. Seit mehr als 13 Jahren ist er im Unternehmen bereits tätig, seit Juli 2021 wirkt er zudem als Aufsichtsratsmitglied bei Jako mit. Die dc AG aus Kulmbach entwickelt die E-Commerce-Plattform dynamic commerce und das Content-Management-System dynamic content.